Karl Borromäus Murr
Von Verborgenem und Offensichtlichem
Mit verschiedenen Bildebenen spielt Rose Stach (*1964) in ihrer 2013 entstandenen Videoinstallation Resistance. Dafür projiziert sie auf einen klassischen Orientteppich verschiedene Filmsequenzen, die sich je nach Bildmaterial ganz unterschiedlich mit den Mustern der Projektionsfläche überlagern. Die künstlerische Aussage resultiert schließlich vom Zusammenspiel des ausgewählten Filmmaterials mit der typisch-abstrakten Gestaltung des Teppichs. Die von Stach montierten Filmszenen stammen allesamt von Protestbewegungen wie etwa gegen die Castor-Transporte nach Gorleben, dann die Demonstrationen zu dem Bauprojekt „Stuttgart 21“ aus dem Jahr 2010 oder schließlich auch die eskalierenden Auseinandersetzungen rund um den Gezi-Park in Istanbul im Jahr 2013. Diese Aktionen zivilen Ungehorsams auf einen typischen Orientteppich ablaufen zu lassen, erzeugt eine Spannung, die die Qualität dieses Kunstwerks ausmacht. Verweist der Orientteppich auf den geschützten Raum des Privaten, auf den behüteten Ort familiärer Wärme oder auch auf den feierlich-zeremoniellen Innenraum eines Gebetshauses, so thematisieren die von Stach zusammengestellten Filmsequenzen den stark umstrittenen öffentlichen Raum, bei dem die Staatsgewalt wiederholt brutal gegen Demonstrierende vorgeht. Zugleich zeugt „Resistance“ von der unentwegten medialen Penetrierung unseres Alltags mit Nachrichten über mehr oder weniger gewaltsame Proteste. Damit verlagert Stach den Ort der Auseinandersetzungen von außen nach innen: in unsere Wohnzimmer, so dass selbst im Privaten keine Ruhe mehr vor den alarmierenden Medienberichten herrscht. Aus der ebenso eindringlichen wie überraschenden Überlagerung der bewegten Protestbilder mit dem Mustern des Orientteppichs resultiert schließlich die Frage, ob das Vorgehen gegen bürgerlich-ziviles Aufbegehren immer strikten Mustern oder Strukturen folgt. Wird etwa in Deutschland das Demonstrationsrecht als Grundrecht ausgehebelt – sei es aus politischem Kalkül oder aus Konzerninteressen? Zeigt sich der Staat weniger kritisch gegenüber rechter Gewalt als gegenüber linker? Welche Handlungsmotive stehen in der Auseinandersetzung der Zivilgesellschaft mit der Staatsmacht im Vordergrund und welche im Hintergrund? Letztlich verweist Stachs Arbeit auf die unlösbar scheinende Verstrickung von Ereignissen mit Strukturen, die als heimliche Beweggründe politisches Handeln steuern. Schließlich erhebt sich noch die Frage nach der Qualität der Strukturen selbst, lässt doch ein Orientteppich unweigerlich an den Orientalismus denken, der die stereotype westliche Wahrnehmung des Nahen und Mittleren Ostens aufgedeckt hat.
© Dr. Karl Borromäus Murr
Ltd. Museumsdirektor
tim | Staatliches Textil- und Industriemuseum Augsburg
Katalogauszug aus „AMISH QUILTS MEET MODERN ART“, Deutscher Kunstverlag, Berlin, 2020
Of the Hidden and the Visible
Rose Stach (* 1964) plays with various pictorial levels in her 2013 video installation Resistance. For her work, she projects a range of different film sequences onto a classical oriental rug. Depending on the picture material, the film sequences blend in very different ways with the patterns of the unusual projection screen. The artistic statement ultimately arises from the interplay between the selected film material and the typical abstract design of the rug. The film scenes shown by Stach all originate from protest movements such as the disruption of the Castor transport to Gorleben, the 2010 demonstrations against the construction project „Stuttgart 21“ and finally the escalating clashes surrounding Gezi Park in Istanbul in 2013. The projecting of these acts of civil disobedience onto a typical oriental rug creates a tension that defines the quality of this artwork. While the oriental rug suggests the protected environment of the private sphere, the guarded place of family warmth, or perhaps the ceremonial interior of a prayer house, the film sequences compiled by Stach invoke the heavily contested public sphere, in which government forces repeatedly use brute force against demonstrators. At the same time, “Resistance” testifies to the constant medial penetration of our daily lives with news of more or less violent protests. Stach thus moves the location of the clashes from outside to inside: into our living rooms, so that even in our private spaces there is no respite from the alarming media reports. From the equally striking and surprising superimposition of the moving protest images onto the patterns of the oriental rug, the question ultimately arises as to whether the response to civil uprisings always follows strict patterns or structures. Could, for example, the right to protest as a basic right be removed in Germany – either due to political calculation or the interests of companies? Is the state less critical of right-wing violence than it is of left-wing violence? Which motivations stand in the foreground and which in the background of civil society’s clash with governments? Stach’s work ultimately points to the seemingly unsolvable entanglement of events with structures that, as clandestine motivations, guide political action. Finally, the question also arises as to the quality of the structures themselves, with an oriental rug unavoidably calling to mind orientalism, which exposed the stereotypical Western perception of the Middle East.
© Dr. Karl Borromäus Murr
Museum Senior Director
State Textile and Industry Museum Augsburg
Catalogue excerpt from „AMISH QUILTS MEET MODERN ART“, Deutscher Kunstverlag, Berlin, 2020
Textauszug aus dem Ausstellungskatalog KUNST | STOFF, erschienen im Hirmer Verlag, München, 2015
Der Kunst von Rose Stach eignet häufig eine politische Dimension. Das gilt auch für ihre Werkgruppe der „War Carpets“, die auf dem ungewöhnlichen Medium von Orientteppichen martialische Motive wie Panzer, Helikopter, Bomber, Geschütze oder auch Handfeuerwaffen darstellen. Mittels einer ebenso einfachen wie wirkungsvollen Technik legt die Künstlerin mit schwarzer Farbe eine Negativschablone über die Orientteppiche, so dass sich die kriegerischen Bildgegenstände gleichsam positiv herausschälen. Solchermaßen komponiert, leben die „War Carpets“ von dem plakativen farblichen Kontrast, der sich zwischen dem schwarzen Hintergrund und dem die Motive oft dominierenden Rot der Teppiche ergibt. Der erstaunliche ästhetische Effekt rührt jedoch vor allem von den ursprünglichen Teppichmustern her, arabesken Ornamenten, die die Motive auf eigentümliche Weise ausfüllen, prägen, vitalisieren.
Künstlerisch beziehen die „War Carpets“ ihren spezifischen Charakter aus der Spannung, die zwischen den als Bildgrund benutzten Orientteppichen und den gewählten Bildmotiven entsteht. Verweisen die Orientteppiche auf den geschützten Raum des Privaten, auf den behüteten Ort familiärer Wärme oder auch auf den feierlich-zeremoniellen Innenraum eines Gebetshauses – allesamt Orte, die dem Schmutz des geschäftigen Alltags entzogen sind –, so signalisieren die von Stach herausgearbeiteten Waffenmotive unverhohlene Gewalt, wie sie – brutal und kalt – in schmutzigen Szenarien von eskalierenden Konflikten, zynischen Terroranschlägen oder asymmetrischer Kriegsführung vorherrscht. Unweigerlich evozieren die Orientteppiche die aktuellen Krisenherde des Nahen und Mittleren Ostens. Indem Stach nicht den Kampf selbst oder dessen Auswirkungen zeigt, sondern nur dessen willfährige Instrumente, bleibt es der Einbildungskraft des Betrachters vorbehalten, seine Phantasie walten zu lassen. Martialische Gewalttätigkeit in unverdächtig-ornamentale Muster zu kleiden, bringt mitnichten eine Verharmlosung des Krieges zum Ausdruck, sondern deutet eher auf dessen unaufhaltsames Eindringen in die geschützte Bastion des Privatlebens, dem es nicht mehr gelingt, die Barbarei öffentlich sanktionierter Grausamkeit von sich fernzuhalten.
Jedenfalls zeugen die „War Carpets“ von der unentwegten medialen Penetrierung unseres Alltags mit Schreckensnachrichten. Stach verlegt den wahren „Battleground“ – so der Titel eines der „War Carpets“ – in unsere Wohnzimmer, aus deren Sicherheit heraus nur noch naive Geister an einen gerechten Krieg glauben mögen. Der Widerspruch von aggressivem Außenraum und behütetem Innenraum mag auch eine Gender-Dimension widerspiegeln, die meist phallisch anmutenden Waffen bilden einen männlichen Gegensatz zu den eher häuslich-weiblich konnotierten Teppichen, die zuallermeist auch von Frauen geknüpft oder gewebt werden.
Wer sich allerdings zu dem unbedarften Schluss verleiten lässt, die Gewalt im Nahen und Mittleren Osten folge einem wiederkehrenden „orientalischen“ Muster, wird alsbald auf den eigenen eurozentristischen Standpunkt zurückgeworfen. Edward Said hat 1978 erstmals die diskursiven Strukturen eines durch und durch westlichen Orientalismus‘ aufgezeigt. Aus einem Gefühl der Überlegenheit heraus reproduziere diese Geisteshaltung den Kolonialismus lediglich auf kultureller Ebene – heute vielleicht, um geopolitische Interessen zu bemänteln, die sich darüber hinaus mit Waffen aus Deutschland verteidigen lassen. Die Orientmuster verweisen von daher eher auf okzidentale Wahrnehmungsmuster denn auf reale Strukturen des Nahen oder Mittleren Ostens.
Die „War Carpets“ von Rose Stach machen mit ihrer so arabesken Musterung auf verstörende Art und Weise auf diesen Zusammenhang aufmerksam. Allein schon der bedrohlich schwarze Bildhintergrund scheint dem so behaglichen Alltagsgegenstand eines orientalischen Teppichs jede Unschuld zu nehmen, zumal er die Schablone bildet für eine tödliche Logik des Krieges – eine Spirale der Gewalt, bei der es müßig ist danach zu fragen, wer denn den ersten Stein geworfen hat.
Auch mit „Ich wasche meine Hände in Unschuld“ wendet Stach einen Alltagsgegenstand, ein schlichtes Handtuch, in ein Kunstwerk. Das in Grau gewebte Textil trägt ein wiederkehrendes grobes Muster, das sich aus Zahlen bildet. Diese in einem Violett gehaltenen Zahlen stellen nichts anderes dar als stark vergrößerte Nummern, wie sie im Konzentrationslager Auschwitz seit 1942 zur Kennzeichnung vor allem den jüdischen Häftlingen auf deren Unterarme tätowiert worden sind. Allein die bloß numerische Kennzeichnung, die den KZ-Häftlingen mit ihrem Namen ihre Individualität und Würde raubte, bedeutete eine ungemeine Degradierung des Menschen zu rein administrativen Nummern. Das Konzentrationslager bewies demnach schon in den Verwaltungsakten seine erniedrigende Inhumanität. Die Nummerierung der Häftlinge jedoch als Tätowierung auszuführen, die unweigerlich an die Markierung von zur Schlachtung bestimmten Tieren erinnert, schrieb diese inhumane Degradierung unauslöschlich auf die Körper der Deportierten ein, dieser „Homines Sacri“ (Giorgio Agamben), die dadurch zu nacktem, biologischem Material entwürdigt wurden.
Das beispiellose Verbrechen des Holocaust erfährt allerdings in seiner bis in die Gegenwart immer wieder feststellbaren Verdrängung oder gar Verleugnung eine zynische Steigerung. Sich der erinnernden Verantwortung für den Holocaust zu stellen, bedeutet bis heute eine besondere deutsche Herausforderung, der sich nach wie vor viele Menschen allzu leicht entziehen. Dieser Anspruch betrifft jedoch nicht nur das Individuum, sondern auch die Kultur, die immer neue ästhetische Mittel bereitzustellen hat, um an die Shoah in einer Weise zu erinnern, die nicht in die Extreme des absoluten Vergessens einerseits und der „Epidemie des Gedenkens“ (Y. Michal Bodemann) andererseits verfällt. Die „Anamnese des Undarstellbaren“ (Georg Christoph Tholen) bedeutet für das kollektive Gedächtnis eine nie endende Aufgabe.
Stachs Handtuch, das mit seiner grauen Grundfarbe auf das Aussehen von KZ-Kleidung verweist und das mit dem Violett der Nummern die Mischung von Blut und Tinte suggeriert, offeriert mit dem Zitat der berühmten Pilatus-Worte eine scheinbar einfache Lösung: dass der Mensch seine Schuld schlichtweg abwaschen – und damit ungeschehen und vergessen machen – kann. Stach stellt der „Unschuld-Seife“ von Ottmar Hörl gleichsam das passende Handtuch zur Seite – nur dass derjenige, der sich seine Hände mit Verbrechen, Verleugnung oder Vergessen schmutzig gemacht hat, sich in der symbolischen Reinigung neuerlich befleckt – mit dem Blut seiner Opfer, das sich nicht mehr aus dem Handtuch entfernen lässt. Selbst wenn das Wasser den moralischen Unrat rituell davonspülen mag, kehrt dieser beim so alltäglichen Vorgang des Abtrocknens wieder – nämlich als Wiedergänger verdrängter Erinnerung: als unheimlicher Bote im häuslichen Heim.
In der Arbeit „Willkommen daheim“ greift Stach das Thema Flüchtlinge in Deutschland respektive in Europa auf. Dazu hat sie einen fiktiven Immobilienflyer entworfen, der mit moralisch hoch aufgeladener Rhetorik für den Kauf von Eigenheimen wirbt. Aber gelten die dort so gepriesenen Werte auch für den Umgang mit Flüchtlingen, die doch partout von der abgeschotteten „Festung Europa“ ferngehalten werden? In einer geschickten Montage kontrastiert die Künstlerin die heile Welt der Immobilienwerbung mit dem Elend der Flüchtlinge, die wider Erwarten vor der Haustür eines modernen westlichen Wohnquartiers ankommen bzw. anlanden. Wer die humanitäre Krise der weltweiten Flüchtlingsströme vorschnell aus seinem Gedächtnis verdrängen will, den zwingt Stach hinzuschauen: auf den inneren Zusammenhang von Armut der Entwicklungsländer und Reichtum der westlichen Welt – ein ebenso sachlicher wie ethischer Konnex, von dem man sich allenfalls auf zynische Weise distanzieren kann.
KUNST | STOFF, Ausstellungskatalog, Hg. Karl Borromäus Murr, Hirmer Verlag, 2015, ISBN-10: 3777424579, ISBN-13: 978-3777424576
© Dr. Karl Borromäus Murr, Leiter des Staatlichen Textil- und Industriemuseums Augsburg