Jochen Meister
Wohnlandschaft
Die Rolle des Teppichs in der modernen Kunst wird bisher vor allem durch webende Künstlerinnen bestimmt. Rose Stach hat sich dagegen dem Objekt Teppich in einer ganz anderen Art und Weise angenommen und ihn in industriell gefertigtem Zustand als Arbeitsmaterial eingesetzt. Aus dem Teppich selbst bilden sich Gegenstände.
So einfach die Idee scheint, die Rose Stach in ihrem Teppichobjekt verwirklicht, so effektvoll ist sie umgesetzt. Mit minimalen Eingriffen wird aus dem flachen Teppich ein räumliches Gebilde. Boden und Wand werden von dem geknickten großen Stück Velours ebenso gebildet wie ein zentrales Sofa, das durch geschickte Schnitte und Faltungen entstanden ist. Subtil und reduziert sind über dem Sofa das Rechteck eines Bildes und davor eben ein Teppich reliefartig wahrzunehmen. Wir stehen vor der Keimzelle klischeehafter Wohnzimmer-Gemütlichkeit.
Diese Wohnzimmeratmosphäre, zu der wir den Fernsehapparat frontal an Stelle des Betrachters noch hinzudenken dürfen, wird durch die Reduktion und den Minimalismus im gestalterischen Aufwand kräftig konterkariert. Die ausgebildete Silberschmiedin Rose Stach arbeitet materialgerecht, setzt den Stoff keiner Torsion aus, sondern beschränkt sich auf rechte Winkel. Handwerkliche Perfektion, die auch das unsichtbare Gerüst aus Spanplatten einschließt, spielt eine wichtige Rolle für eine Wirkung der Arbeit „wie aus einem Guß“. Zugleich lassen die Präzision der Schnitte und das kühle, einheitliche Material, das eher für Büroräume denn für gute Stuben gewählt würde, einer behaglichen Stimmung keine Chance. Vielmehr kommt eine Sterilität auf, die an die Präsentation fabrikneuer Möbelstücke in einem Schaufenster erinnert. Persönliches fehlt.
Der Kontrast zwischen dem Motiv und seiner Behandlung wird auf die Spitze getrieben bei der Wahl des Ornaments, welches einheitlich über den Teppich und somit die imaginären Möbelstücke verteilt abgebildet wird: Es handelt sich um das Blattwerk und die roten, fleischigen Blütenblätter von Zimmerpflanzen, genauer Anthurien, die unter der domestizierten Flora für das gepflegte Heim eine markante Spezies darstellen. Die Künstlerin hat sie auf die einfarbige Auslegware mit Hilfe von Sprühtechnik und Schablone gemalt. Dabei ließ sie sich von Graffitisprayern beraten, um einen ähnlich rücksichtslos-absichtsvollen Effekt zu erreichen, wie er bei Graffitis auf Betonwänden oder S-Bahn-Zügen zu beobachten ist. Nimmt man den all-over-Effekt, das Überwuchern des ganzen Objektes durch die Pflanzen, beim Wort, stellt sich das Gefühl eines Dschungels ein. Dabei ist die Verteilung wiederum klug überlegt und kompositorisch mit Umständen wie jenem verknüpft, daß das angedeutete Bild an der Wand eine einzige Blüte zeigt.
Sterilität und Dschungel, Wohnzimmer und Schaufenster – die Irritation durch Gegensätzliches macht sicher einen Teil des Reizes dieser Arbeit aus. Aus dem Traum eines couch-potatoe, also jenes modernen Typus des Dauerfernsehguckers, der mit seinem Sitzmöbel verwachsen zu sein scheint, wird bei Rose Stachs „Wohnlandschaft“ rasch ein Albtraum.
Jochen Meister
Kunsthistoriker, Pinakothek der Moderne München